Der omnivore Carnivor

Lesenbrillen auf! Hier kommt nun die genetische Fortsetzung mit Stärke zum vorangegangenen Artikel über fakultative Omnivoren! Wer jenen verpasst haben sollte, einfach am Ende dieses Artikels den richtungsweisenden Button nutzen.

Futterblatt-fakultativer-Omnivor

Verflixte Gene

Der Begriff Stärke im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln ist vermutlich jedem einigermaßen geläufig. Damit ist daher nicht der Popeye-Effekt gemeint, sondern ein bestimmter Nährstoff aus der Reihe der Kohlenhydrate. Möglicherweise habt ihr ja schonmal Kartoffelmehl zum Backen von Leckerli gekauft. Bei jenem Mehl handelt es sich häufig um nahezu pure aus Kartoffeln gewonnene Stärke. Es gibt jedoch auch Kartoffelmehle, welche aus Kartoffelflocken hergestellt bestehen, doch diese scheinen eher selten heimisch im Supermarktregal zu sein. Doch zurück zum Kohlenhydrat und den Genen. Im vorangegangenen Artikel zum Thema fakultativer Omnivor hatten wir uns ein bestimmtes Aufsehen erregendes Gen namens Amy angeguckt. Die höhere Kopienzahl dieses Gens (AMY2B) in Hunden (im Vergleich zu Wölfen) wurde mit der Domestizierung des Hundes durch den Menschen über Jahrtausende begründete. Erscheint durchaus logisch, nicht wahr?

Diese These wurde nie geprüft. Es weiß also nach wie vor niemand, warum Hunde tatsächlich über mehr jener Genkopien verfügen als Wölfe. In den Resultaten der Folgestudie fällt zudem auf, daß sich die Kopienzahl eines jeden Hundes extrem nach Rasse und Individualität richtet. So sind manche Hunde dem Wolf genetisch weit näher als andere. Die Hunderasse gilt sogar als besonders großer Faktor, denn sie beeinflußt jene Genausstattung bis zu 50%, laut Wissenschaft. Doch bevor wir uns erneut mit diesen verflixten Genen beschäftigen, ein kurzer Ausflug in den Supermakt namens Hund.

Alkohol der Nieren

Ein Mensch ist fähig, Alkohol deutlich besser zu verwerten als manch anderes Tier. Was für insbesondere kleinere Tiere bereits tödlich enden kann, steckt Mensch unbeschadet weg. Entscheidener Faktor, Menge und Häufigkeit der Alkoholaufnahme des Menschen. Nimmt er zu viel oder regelmäßig Alkohol zu sich, hat dies bekannterweise schwerwiegende Folgen für seine Gesundheit. Die bekannteste wäre die Leberzirrhose, sie ist unheilbar. Die Leber ist hauptverantwortlich für den Alkoholabbau.

Beziehen wir dies nun auf Hund und Wolf. Der Wolf wäre in diesem Beispiel mit jenen sensibleren Tieren gleichzusetzen, der Mensch mit dem Hund und der Alkohol mit dem Kohlenhydrat Stärke. Die Verdauung von Stärke ist einem Hund, wie wir inzwischen wissen, absolut möglich, verursacht jedoch gewisse Abbauprodukte. Diese wiederum belasten die Nieren. Natürlich reden wir hier nicht von einem einzelnen Hundekeks, sondern von langfristigen Folgen regelmäßiger oder übermäßer Stärkefütterung.

Ihr könnt euch das in etwa so vorstellen. Kohlenhydrate sind Kunden im Supermarkt namens Hund. Die Nieren sind die einzige Kasse darin. Kommen ab und an ein paar Kunden um zu bezahlen, ist das kein Problem. Kommen aber immer wieder mehrere Kunden in kurzer Abfolge, staut es sich an der Kasse. So ähnlich ergeht es den Nieren eines Hundes mit pflanzlichen Kohlenhydraten.

Die Sache mit dem Schwein

Die These, der Hund wäre ein Schwein im Artikel ‚Der fakultative Omnivor‘, ist natürlich frei von mir erfunden. Sie war viel mehr eine logische Schlußfolgerung der These, Hunde seien Omnivoren. Denn Schweine sind klassische Omnivoren und auch der Mensch gilt als recht typischer Omnivor. Daher dürfte es an dieser Stelle nicht überraschen, daß die menschliche DNS mit der eines Schweines zu 90% übereinstimmt. Die genetische Übereinstimmung vom Mensch und Hund beträgt hingegen nur 25%. Der Omnivorenklassiker Schwein ist dem typischen Omnivoren Mensch genetisch also deutlich näher als der vermeintliche Omnivor Hund. Der relativ typische Carnivor Wolf wiederum stimmt mit dem Hund genetisch zu etwa 99,8% überein.

Wie kommt also die These einiger zustande, der Haushund wäre inzwischen ein Omnivor?
Einer der Gründe liegt sicherlich in der Industriewirtschaft, denn stärkehaltige Lebensmittel sind deutlich kostengünstiger als tierische und vermögen ebenfalls zu sättigen. Ein weiterer Grund dürfte die Solobetrachtung des Begriffes ‚fakultativ‘ sein. Das Wort Carnivor, welches eigentlich dazugehört, wird ausgeblendet. Fakultativ und omnivor klingen so betrachtet inhaltlich natürlich recht identisch. Besonders deutlich wird das anhan der deutschen Übersetzung mit ‚freigestellt‘ (fakultativ) und ‚alles verschlingend‘ (omnivor). Zugegeben, es ist ein wenig knifflig.
Denn sobald von dem Hund als Omnivor gesprochen wird, handelt es sich demnach um einen omnivoren Carnivoren oder alternativ fakultativen Omnivoren. Wem jetzt vor lauter Begriffen schwindlig wird, tief durchatmen, es wird besser, vielleicht. Es gibt nämlich weder omnivore Carnivore, noch fakultative Omnivore. Gucken wir uns erneut die deutsche Übersetzung der Begriffe an, wird dies auch etwas klarer erkennbar. Ein allesfressender Fleischfresser kann selbstverständlich ein Fleischfresser sein, er frisst ja nunmal alles. Doch wie kann ein Fleischfresser dann ein Allesfresser sein? Ein freigestellter Allesfresser kann schlichtweg alles essen, auch Fleisch, wenn er denn mag. Doch was genau ist denn nun der Hund?

Ein fakultativer Carnivor ist fähig, temporär mit mehr oder weniger artfremder Nahrung (Pflanzen) unbeschadet zu überleben. Für einen obligaten Carnivoren (z.B.: Katzen) gilt dies nicht. Einen Omnivoren hingegen könnte man als Evolutionswunder betrachten. Er ist nämlich fähig, sowohl mit pflanzlicher, als auch tierischer Nahrung langfristig unbeschadet zu überleben. Er kann sich also den vorhandenen Nahrungsbedingungen nicht nur bestens anpassen, sonder auch wählen, welche ihm lieber ist, ohne unbedingt Folgeschäden dadurch befürchten zu müssen.

Die entscheidenen Punkte zur Frageklärung, ob der Haushund nun ein Carni- oder Omnivor ist, lauten also Genetik, Anatomie und Verdauungspysiologie. Fakt ist, sowohl Hund als auch Wolf sind fähig Kohlenhydrate zu verwerten. Die Genetik erlaubt zudem eine grobe Einschätzung über das Levelmaß jener Fähigkeit. Allerdings müßte man dazu genaugenommen jedes Individuum für sich testen, da laut besagter Studien, die Schwankungen von Tier zu Tier bemerkenswert groß ausfallen.

(Quellen: „The genomic signature of dog domestication reveals adaptation to a starch-rich diet“ (2013): Erik Axelsson, Abhirami Ratnarkumar, Khurram Maqbool, Matthew T. Wester, Michele Perloski, Olof Liberg, Jon M. Arnemo, Ake Hedhammer, Kerstin Lindblad-Toh;
„Amylase activity is associated with AMY2B copy numbers in dog: implications for dog domestication, diet and diabetes“ (2014): Maja Arendt, Tove Fall, Kerstin Lindblad-Toh, Erik Axelsson; Annika Appel
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